Den Zebras auf 
der Spur

Diagnose seltener Erkrankungen 

Die Diagnosestellung einer seltenen Erkrankung nimmt häufig sehr viel Zeit in Anspruch, wobei Ärztinnen und Ärzte auf verschiedene Herausforderungen treffen: In vielen Fällen zeigt sich bei den Patient*innen ein sehr variables Krankheitsbild, das nur schwer einer bestimmten Erkrankung zuzuordnen ist. Diese Symptome können sich dann zusätzlich mit denen häufigerer Krankheiten überschneiden. Durch den weit verbreiteten Aphorismus „Wenn Du Hufgetrappel hörst, dann denke an Pferde und nicht an Zebras.“ tendieren Ärztinnen und Ärzte außerdem in vielen Fällen dazu, zunächst häufige Erkrankungen mit den Symptomen zu assoziieren, statt die Möglichkeit einer seltenen Erkrankung in die Diagnosestellung miteinzubeziehen. Der Fakt, dass diagnostische Tests häufig mit sehr hohen Kosten verbunden sind und teils nur in speziellen Einrichtungen durchgeführt werden können, verstärkt das Problem.1,2 

All diese Hürden haben zur Folge, dass im Durchschnitt bis zu 5 Jahre vergehen, bis die Diagnose einer seltenen Erkrankung erfolgreich gestellt werden kann.1 Eine europäische Studie zur Identifizierung verschiedener seltener Erkrankungen (darunter u. a. Mukoviszidose, das Marfan-Syndrom oder Duchenne Muskeldystrophie) konnte zeigen, dass bei 40 % der Patient*innen zunächst eine falsche Erkrankung diagnostiziert wurde. Außerdem berichteten 25 % der Betroffenen von einer Wartezeit zwischen 5 und 30 Jahren, bis eine korrekte Diagnosestellung ihrer Erkrankung erfolgen konnte.2  
 

Warum ist eine frühe Diagnose essentiell? 

Eine möglichst frühe Diagnosestellung ist besonders entscheidend, da nur so ein früher Therapiestart garantiert werden kann. Wenn der Therapieplan frühzeitig erörtert wird, steigen die Chancen für eine Verbesserung der Lebensqualität Betroffener deutlich an.1 Seltene Erkrankungen wie beispielsweise die Alpha-Mannosidose können im Krankheitsverlauf irreversible Organschädigungen oder chronische Einschränkungen verursachen, die es zu vermeiden gilt. Außerdem kann durch den frühen Therapiestart auch die Wahrscheinlichkeit eines frühzeitigen Todes bei schweren Erkrankungen reduziert werden. Genetisch bedingte seltene Erkrankungen wurden u. a. als Hauptursache für den Tod von Kindern unter 10 Jahren identifiziert, wodurch die Relevanz der Behandlung dieser Erkrankungen deutlich wird. 1,3,4 
 

Wie kann die Diagnose erfolgen? 

Bei der Diagnosestellung seltener Erkrankungen sollten verschiedene Verfahren in Betracht gezogen werden. Im Rahmen einer intensiven Anamnese wird der Gesundheitszustand der Patient*innen anhand der verschiedenen Symptome und der Krankheitsgeschichte bewertet. Bluttests wie z. B. verschiedene enzymatische Analysen können weitere Hinweise für das Vorliegen einer seltenen Erkrankung geben. Genetische Tests dienen dann meist dazu, die Verdachtsdiagnose zu bestätigen.2 

Beispiele: 

  • Alpha-Mannosidose: Neben der Identifizierung der charakteristischen Symptome einer Alpha-Mannosidose können enzymatische Analysen und molekulargenetische Tests durchgeführt werden. Eine erhöhte Konzentration mannosereicher Oligosaccharide im Urin geben dabei häufig erste Hinweise auf das Vorliegen der Erkrankung. Da die Symptome der Alpha-Mannosidose denen anderer lysosomaler Speichererkrankungen wie den Mukopolysaccharidosen sehr ähnlich sein können, sollte stets eine Differenzialdiagnose durchgeführt werden. Diese kann mittels einer sogenannten Trockenblutkarte erfolgen, wobei die Enzymaktivität des betroffenen Enzyms Alpha-Mannosidase analysiert wird.3,5 
     
  • Cystinose: Bei bestimmten Formen der Cystinose können bereits im frühen Kindesalter sehr deutliche Symptome auftreten, was allerdings nicht immer der Fall ist. Daher sind Blutuntersuchungen essentiell, um die Erkrankung identifizieren zu können. Dabei wird in Speziallaboren die Cystin-Konzentration in den weißen Blutzellen gemessen. Spaltlampenuntersuchungen an den Augen der Patient*innen können außerdem Aufschluss darüber geben, ob bereits eine Ablagerung der typischen Cystinkristalle in den Augen stattgefunden hat. Die Bestätigung der Verdachtsdiagnose kann dann über einen genetischen Test erfolgen. 6,7 
     
  • LHON: Die klinische Diagnose der Leberschen Hereditären Optikus-Neuropathie (LHON) kann beispielsweise durch eine intensive Anamnese, Funduskopie (Untersuchung des Augenhintergrunds) oder eine sogenannte optische Kohärenztomographie (OCT) erfolgen. Bei der OCT handelt es sich um ein bildgebendes Verfahren zur grafischen Darstellung der Netzhaut, durch das festgestellt werden kann, ob sich die Erkrankung bereits auf die Dicke der Netzhaut ausgewirkt hat. Durch genetische Tests kann die Diagnose LHON dann gesichert werden.8 
     
  • Morbus Fabry: Der zugrunde liegende Enzymdefekt bei Morbus Fabry kann mit Hilfe eines Enzymaktivitätstests untersucht werden. Dabei wird die Aktivität des betroffenen Enzyms Alpha-Galaktosidase A gemessen, wobei allerdings darauf geachtet werden muss, dass bei Frauen auch trotz des Vorliegens einer Erkrankung die Enzymaktivität im Normalbereich liegen kann. Ein Gentest kann hier Klarheit verschaffen.9,10 
     

Was passiert nach der Diagnose? 

Nach der erfolgreichen Diagnosestellung einer seltenen Erkrankung sollte durch intensive körperliche Untersuchungen festgestellt werden, ob und welche weiteren Organe von der Erkrankung betroffen sind. Liegt eine genetisch bedingte Komponente vor, kann es sinnvoll sein, durch eine Stammbaumanalyse andere betroffene Familienmitglieder zu identifizieren. Das therapeutische Vorgehen sollte anschließend geplant und schnellstmöglich eine entsprechende Behandlung eingeleitet werden. Je nach Fall könnte es sein, dass hierzu eine Überweisung an ein Stoffwechselzentrum oder ähnliches erfolgen muss. Patientenorganisationen können Betroffenen durch das Angebot verschiedener Informationsquellen und den Austausch mit anderen Patient*innen und deren Angehörigen zusätzlichen Halt geben. Ein Beispiel für eine solche Organisation ist die ACHSE e.V. (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen), die es sich zur Aufgabe gemacht hat Menschen mit seltenen Erkrankungen ein Netzwerk zu bieten und deren Interessen politisch zu vertreten.11 

 Referenzen 
Referenzen:
  1. Marwaha S et al. Genome Medicine. 2022;14(23).
  2. Field MJ and Boat TF. Institute of Medicine (US) Committee on Accelerating Rare Diseases Research and Orphan Product Development. 2010.
  3. Malm D, Nilssen Ø. Orphanet J Rare Dis. 2008;3:21.
  4. Giugliani R et al. Front. Genet. 2022;13
  5. Alpha-Mannosidose, Diagnostik. Amedes. https://www.di-ch.de/diagnostik.html, zuletzt aufgerufen: Oktober 2023.
  6. Wilmer MJ, et al. Pediatr Nephrol. 2011;26(2):205–215.
  7. Nesterova G, Gahl W. Pediatr Nephrol. 2013;28(1):51–59.
  8. Carelli V et al. J Neuroophthalmol 2017; 37:371–81.
  9. Paim-Marques L et al. J Multidiscip Healthc 2022;15:485-95.
  10. Beck M et al. Mol Genet Metab Rep 2015;3:21-7.
  11. ACHSE e.V. Ziele und Aufgaben der ACHSE. Online unter: https://www.achse-online.de/de/die_achse/den_seltenen_stimme_geben.php, zuletzt aufgerufen: Oktober 2023.
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